»Jute statt Plastik!« Alternative Produktkultur zwischen Umweltkrise und Mode

Des-In-Lampenserie_1977

Des-In-Lampenserie_1977
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Martina Fineder

Audiobeitrag

Dieser Beitrag beleuchtet die Suche nach einer alternativen Design-
und Konsumkultur zwischen gegenkultureller Produktion und Lifestyle-
Trends im Westdeutschland der 1970er Jahre. Als wesentlicher Motor
dieser Entwicklung gilt gemeinhin die wiedererwachte Liebe zur
Natur. Ausgehend von einem neuen systemischen Verständnis der
Mensch-Natur-Beziehung wird der blaue Planet zum »Raumschiff Erde«
(Richard Buckminster Fuller 1968) erklärt, um anschließend als »Boot«
begriffen zu werden, in dem alle zusammen vom Untergang bedroht
sind. Dieses Verständnis drückt sich in der Folge in konsumkritischen
Aktionen wie »Jute statt Plastik« aus, wobei die braune Jutetasche zum
Symbol anti-kapitalistischen und anti-imperialistischen Protests wird.
Hier manifestieren sich auch die Sorgen einer vorwiegend jüngeren
Generation, die vom zunehmenden Wissen um die Konsequenzen des
globalen Raubbaus an Mensch und Natur herrühren.
Die steigende Popularität der Umweltbewegung wird aber auch von
kritischen Stimmen begleitet, die wie Tomás Maldonado in Umwelt
und Revolte. Zur Dialektik des Entwerfens im Spätkapitalismus (1972)
befürchten, dass das neue Umweltbewusstsein zur Mode verkommen
und damit seine Wirkung verfehlen könnte.
Im Spannungsfeld von Design und Konsum, Konsumkritik, Anti-Design
und Lifestyle-Trends wird danach gefragt, wie sich das wachsende
Umweltbewusstsein in der Produktkultur äußert. Wie materialisieren
sich die neuen alternativen Wertvorstellungen? Wie wird die neue
Mensch-Natur-Beziehung in der Design- und Konsumpraxis verhandelt?
Diesen Fragen wird anhand von Beispielen wie der alternativen
Möbel- und Lampenproduktion der Offenbacher Gruppe DES-IN,
den Schaufenster-Dekorationen von Dorothee Beckers Schwabinger
Designboutique Utensilo, verschiedener Produktwerbungen in linken
Stadtmagazinen wie Blatt und PflasterStrand sowie der Verarbeitung
von Naturbildern im IKEA-Katalog nachgegangen.
Design und Konsum werden dabei als bedeutungsvolle
Auseinandersetzung mit der natürlichen und sozialen Umwelt gesehen
(Attfield 2000). Damit reiht sich dieser Beitrag nicht in die marxistisch
geprägte Design- und Konsumkritik der 1970er Jahre ein, sondern
bemüht sich, angeregt von der Diskussion um »The Poverty of Morality«
(Miller 2001, 2012), um ein dialektisches Verständnis von Design
und Konsum als Prozess, durch den Individuen, Gruppen und die
Gesellschaft auf die Bedingungen der Moderne reagieren.
Dieser Beitrag ist eine Adaption des 2011 in Barcelona präsentierten
Beitrages »Jute, not Plastic!« zur Konferenz Design History and
Social Change und Teil meines Dissertationsvorhabens mit dem Titel
»The Promise of the Alternative. Environmentally Critical Design and
Consumption in 1970s West Germany«.

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